Definition und Ziele

Der Begriff orthomolekular wurde 1968 vom Biochemiker und zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling geprägt (Orthomolecular Psychiatry: Varying Concentrations of Substances normally present in the human body may control mental disease. Science 160, 265 – 271; 1968).
Die orthomolekulare Medizin beschäftigt sich mit Substanzen (Molekülen), die normalerweise im menschlichen Organismus vorhanden sind sowie mit der Zufuhr dieser natürlichen Substanzen über die Nahrung.
Der menschliche Körper ist , um gesund zu bleiben, auf eine ausreichende Zufuhr dieser natürlichen Substanzen wie Vitamine, Anti-Oxidantien, Mineralstoffe, Spurenelemente, Fett- und Aminosäuren angewiesen. Zum großen Gebiet der Orthomolekularen Medizin zählen auch die Enzyme, die an einer großen Zahl von biochemischen Reaktionen im menschlichen Organismus beteiligt sind, z. B. Kohlenhydrat- und Eiweißstoffwechsel.
Moleküle (lateinisch) sind die kleinsten Baustoffe von Substanzen und Stoffen, ortho stammt aus dem griechischen und bedeutet „richtig, gut“.
Orthomolekulare Medizin bzw. Therapie ist daher nichts anderes als die Verwendung bzw. Verabreichung der richtigen Moleküle in den richtigen Mengen. Die Erhaltung der Gesundheit sowie die Behandlung von Symptomen und Krankheiten beruht damit auf einer Veränderung der Konzentration von Substanzen im menschlichen Körper, die normalerweise im Körper vorhanden und für die Gesundheit notwendig sind. Durch Umstellung der Nahrung, Weglassen unnötiger Nahrungsmittel sowie die gezielte Einnahme von Megadosen (hohen Dosen) von Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen, Aminosäuren und Fettsäuren, lassen sich die Ungleichgewichte, die zur Erkrankung geführt haben, korrigieren. Das Konzept der orthomolekularen Medizin beruht auch auf der Erkenntnis, dass kein Mensch in einer perfekten, für ihn optimalen Umwelt lebt. Der Mensch braucht knapp 50 verschiedene Nährstoffe. Alle diese Nährstoffe (Ortho- Moleküle) müssen im Organismus in der richtigen Konzentration vorhanden sein, um beste Gesundheit und weitgehenden Schutz vor Krankheiten zu erreichen.
Die Bezeichnung „Mega-Vitamintherapie“ wurde bereits 1952 erstmals von den amerikanischen Psychiatern Humphrey Osmond und Abraham Hoffer zur Beschreibung von hoher Niacin (Vitamin B3) - Dosen bei der Behandlung der Schizophrenie, LSD- und Amphetamin - Psychosen verwendet. Die „Mega- Nährstofftherapie“ ist ein Teilgebiet der orthomolekularen Medizin, die sich ständig erweitert und schon lange weiß, dass sämtliche biologische Interaktionen des Menschen mit Nahrung, Wasser, Luft und Licht für einen guten Gesundheitszustand und die Vermeidung von Erkrankungen eine entscheidende Rolle spielen. Mit Cadmium verunreinigte Luft begünstigt hohen Blutdruck und Arterienverkalkung, fluoreszierendes Licht kann zu Hyperaktivität, Aluminiumsulfat und kupferhältiges Trinkwasser können zu vorzeitiger Senilität, Demenz und Bluthochdruck, eine übermäßige Zuckerzufuhr begünstigt Diabetes und Herzkreislauf - Erkrankungen, Nahrungsmittelzusätze können vor allem bei Kindern Allergien verursachen.
Orthomolekulare Medizin hilft auch den Patienten, sich eine bewusstere Vorstellung von der mit Schadstoffen belateten Umwelt und den prozessierten Nahrungsmitteln zu machen, die keine Nährstoffe mehr enthalten. Eine richtige Ernährung und Supplementierung (Einnahme von Präparaten) mit Mikronährstoffen und Anti-Oxidantien können den Menschen gegen die gesundheitsschädigenden Wirkungen von Blei, Cadmium und Quecksilber schützen. Eine Orthomolekulare Therapie ist somit im hohen Maße auch korrektiv und präventiv.
Orthomolekulare Therapie wird, ohne dass dieser Ausdruck bewusst verwendet wird, seit langem bei einer Vielzahl von Krankheiten angewendet und in Einzelfällen von praktisch jedem Arzt betrieben.

 

Weiteres Beispiel einer orthomolekularen Therapie sind akute und chronische Lebererkrankungen, die zu einer „hepatischen Enzephalopathie“ also Funktionsstörungen des Gehirns führen mit Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur, Beeinträchtigung von psychomotorischen Fähigkeiten wie etwa der Fahrtauglichkeit, Konzentrations- und Gedächtnisschwäche etc. In schweren Fällen kann es sogar zu einem Koma kommen, bei der „hepatischen Enzephalopathie“ findet man im Blut der Patienten die verzweigtkettigen Aminosäuren Valin, Leucin und Isoleucin deutlich vermindert, während auf der anderen Seite die sogenannten aromatischen Aminosäuren wie Phenylalanin und Tryptopan erhöht sind.
Die orthomolekulare Therapie besteht somit auseinem Gemisch mit viel verzweigtkettigen Aminosäuren und nur wenig aromatischen Aminosäuren, es kommt dadurch zu einer deutlichen Besserung!

 

Ein weiteres bekanntes Beispiel ist die so genannte glutensensitive Enteropathie, bekannt als Zöliakie bzw. nicht-tropische Sprue, eine durch Getreideeiweiß (Gluten) ausgelöste Erkrankung des Dünndarms. Zur Behandlung werden in der Nahrung sämtliche Getreideprodukte, die Gluten enthalten, weggelassen. Zur Deckung des Mineral- und Vitaminbedarfs werden geeignete Präparate eingenommen, weil durch die deutlich eingeschränkt Nahrungsmittelauswahl keine auseichende Aufnahme entsprechend des Tagesbedarfs an Mineralstoffen mehr möglich ist. Auch bei dieser Orthomolekularen Therapie werden schädliche Stoffe weggelassen und überdies orthomolekulare Substanzen (Vitamine, Spurenelemente, etc.) zugeführt.
Fettsäuren sind für den menschlichen Organismus lebensnotwendig, da sie vom Körper selber nicht aufgebaut werden können. In den westlichen Industrieländern besteht häufig eine Unterversorgung mit Omega- 3 - Fettsäuren (z.B. Eicosapentaensäure), da diese Fettsäuren hauptsächlich in Fisch und Wild enthalten sind. Der wöchentliche Verzehr von Fisch ist bei vielen Menschen jedoch zu gering. Die Versorgung mit Fettsäuren vom Omega - 6 - Typ (z.B. Linolsäure) ist meist ausreichend.
Omega-3 - Fettsäuren können also, wie das heute auch zunehmend erfolgt, in Form von Fischölkapseln therapeutisch eingesetzt werden, um erhöhte Blutfette (Triglyzeride) natürlich zu senken, weiters wirken sie einer übermäßigen Verklumpbarkeit der Blutplättchen (Thrombozyten) entgegen und verbessern somit den Blutfluss und die Versorgung mit Sauerstoff in den Organen, diese Fettsäuren senken weiters einen erhöhten Blutdruck (Hypertonie). Damit können bedeutsame Risikofaktoren für die Entstehung von Arteriosklerose und somit KHK (Koronare Herzkrankheit) sowie Herz- und Hirnschlag durch Verabreichung der orthomolekularen Omega- 3 -Fettsäuren auf natürliche Weise und ohne Nebenwirkungen positiv beeinflusst werden.
Orthomolekulare Therapien mit einzelnen Vitaminen sind in den Lehrbüchern der Inneren Medizin angeführt und werden auch in der täglichen medizinischen Praxis schon seit langem durchgeführt. Dazu zählt die Gabe von Vitamin B12 durch den Arzt bei perniziöser Anämie, Vitamin D und Kalzium bei Osteoporose (Knochenschwund) und Vitamin E bei Rheuma oder verschiedenste Kombinationen bei Krebserkrankungen.

Orthomolekulare Medizin basiert auf streng wissenschaftlich, logisch nachvollziehbaren medizinischen und biochemischen Grundlagen.

 

Die Orthomolekulare Medizin ist aber nicht auf der Suche nach chemischen Arzneimitteln, welche lediglich die Symptome der Erkrankung beseitigen, sondern sucht natürliche Mittel, welche die Ursache einer Erkrankung behandeln. Der Einsatz von chemischen Arzneimitteln wird nicht grundsätzlich abgelehnt, wo deren Verabreichung auch wirklich erforderlich ist, es werden aber die Grenzen dieser chemischen Arzneimittel und vor allem auch ihre Nebenwirkungen genau beachtet.

 

In allen Fällen stellen jedoch körpereigene (orthomolekulare) Substanzen, die in der richtigen Menge verabreicht werden, einen wichtigen Teil der Behandlung jeder Krankheit dar! Orthomolekulare Medizin ist daher weder ein Gegner noch ein Ersatz der Schulmedizin, sondern gleichsam ihr natürlicher Partner. Orthomolekulare Medizin ist vielmehr Schulmedizin, nur wird schwerpunktmäßig mit körpereigenen Wirkstoffen behandelt.

 

Wichtig ist auch der Hinweis, dass orthomolekulare Medizin kein Allheilmittel zur Therapie aller Krankheiten ist, sie kann aber eine wichtige Voraussetzung für eine gute Gesundheit und die Behandlung von Krankheiten sein. Ein Teil der Patienten wird allein durch eine orthomolekulare Therapie eine Verbesserung erfahren, während andere Patienten wiederum, neben der orthomolekularen Therapie, auch chemische Arzneimittel benötigen.
Um Defizite an Vitaminen, Spurenelementen, Mineralstoffen etc. genau zu untersuchen und den täglichen zusätzlichen Bedarf durch Einnahme von entsprechenden Präparaten durch einen Arzt festzulegen, sind exakte Laboranalysen in Blut und Harn empfehlenswert.
Vor einer „Selbstmedikation“ mit Nährstoffpräparaten muß allerdings abgeraten werden!
Da die orthomolekulare Medizin auf umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten und Forschungen beruht, die auch in vielen medizinischen Fachzeitschriften bereits veröffentlicht wurden, nimmt sie einen festen Platz in der Medizin ein.

Dr. med. univ. Peter H. Lauda